Psychische Erkrankungen: Immer noch Tabuthema
Bereits vor 30 Jahren wurde der Welttag für seelische Gesundheit initiiert. Seitdem findet er jährlich am 10. Oktober statt und soll auf die psychische Gesundheit von Menschen aufmerksam machen. Denn eine psychische Erkrankung kann jede*n treffen. Als krank gilt trotzdem meistens noch, wer Fieber hat. Mit einem einfachen "Kopf hoch" hingegen werden psychische Erkrankungen oft abgetan.
Nicht alle Krankheiten sind sofort zu sehen
Auf den ersten Blick sieht Julia ganz normal aus. Bei genauerer Betrachtung fallen jedoch die Narben am Unterarm auf. Narben aus einer Zeit, in der sie sich selbst verletzte. Bereits als Jugendliche war sie emotional instabil und schon früh in Gesprächstherapie. Mit 18 dann die Diagnose: Borderline-Persönlichkeitsstörung. „Anfangs wollte ich das nicht wahrhaben“, berichtet die inzwischen 25-Jährige. Es hat einige Zeit und mehrere Klinikaufenthalte gedauert, doch mit der Zeit erkannte sie sich im Krankheitsbild wieder: Ihr Leben ist gekennzeichnet von Impulsivität und Instabilität. Gefühle, Gedanken und Einstellungen ändern sich häufig innerhalb kürzester Zeit. Sie hat Verlustängste und es fällt ihr schwer, stabile Beziehungen aufzubauen.
Seit Dezember 2020 wohnt sie im AWO Johanna-Kirchner-Haus, einer Übergangseinrichtung für psychisch kranke Menschen in Marktbreit. Dort wird sie dabei unterstützt, neue Fähigkeiten zu erlernen oder vorhandene Fähigkeiten zu trainieren, mit dem Ziel, ihr Leben wieder möglichst eigenständig und verantwortlich gestalten zu können. Die gelernte Altenpflegefachkraft möchte bald wieder in ihrem Beruf arbeiten und in eine eigene Wohnung ziehen. Mit fachlicher Unterstützung ist sie auf dem besten Weg dahin.
Die 25-Jährige geht offen mit ihrer Erkrankung um. Trotzdem stößt sie in der Gesellschaft immer wieder auf Unverständnis. „Du bist doch nicht krank, das sieht man dir gar nicht an“, seien Reaktionen von Menschen, denen sie begegnet. Dass sie mehr lachen solle und einfach mehr unternehmen solle, sind Ratschläge, die sie ungefragt erhält, von Menschen, die nicht wissen, wie es ist, in einem Stimmungstief zu hängen. Zum Glück hat sie aber auch gute Erfahrungen gemacht. Viele Personen zeigen Verständnis für ihre Situation und wollen wissen, wie sie sie unterstützen können. Ihr ehemaliger Arbeitgeber versuchte den Arbeitsablauf so zu gestalten, wie es für sie und ihre Bedürfnisse gut war.
Warum Aufklärung so wichtig ist
Es zeugt von enormer Stärke, eine psychische Störung zu erkennen und behandeln zu lassen. Nicht viele können so offen mit ihrer psychischen Erkrankung umgehen wie Julia. Das weiß auch Franz Bernitzky: „In den letzten Jahrzehnten berichten Medien immer häufiger über physische Erkrankungen, dennoch sind sie weitgehend noch ein Tabuthema“, berichtet der Einrichtungsleiter des Johanna-Kirchner-Hauses. Dabei gibt es leider noch so einige Wissenslücken in der Bevölkerung. Aufklärung und Wissen über Symptome und Verlauf einer psychischen Krankheit können nahestehenden Personen und den Betroffenen jedoch helfen, besser mit den Umständen fertig zu werden.
Auch aus diesem Grund lautet das diesjährige Motto des Welttages für seelische Gesundheit „Reden hebt die Stimmung – Seelisch gesund in unserer Gesellschaft”. Denn Reden hilft nicht nur den Betroffenen bei der Genesung, sondern auch Verständnis füreinander zu entwickeln und die Tabuisierung und auch Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen keine Chance zu geben.